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20. März

Was tun gegen Antisemitismus in der Schule?

Niemand kommt als Antisemit*in auf die Welt. Die Faktoren, die im Laufe der Sozialisation aus einzelnen Ressentiments ein geschlossen antisemitisches Weltbild werden lassen, sind umfangreich. Eines ist aber klar: wenn ein Antisemitismus zum Weltbild
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20.03.2019

Was tun gegen Antisemitismus in der Schule?

Niemand kommt als Antisemit*in auf die Welt. Die Faktoren, die im Laufe der Sozialisation aus einzelnen Ressentiments ein geschlossen antisemitisches Weltbild werden lassen, sind umfangreich. Eines ist aber klar: wenn ein Antisemitismus zum Weltbild geronnen ist, ist er für Bildung nicht mehr erreichbar, sondern nur für Sanktion und Repression. Bis dahin muss politische Bildung Elementares leisten, mehr noch: Sie ist im Kindes- und Jugendalter der Schlüssel im Kampf gegen Antisemitismus.
Die zentralste Rolle hat dabei die Schule. Sie ist Zentrum der Wissensvermittlung und steht im Fokus für soziales Lernen. Genau deshalb ist der Zustand des Kampfes gegen Antisemitismus an Schulen auch so fatal: nur in wenigen Bundesländern existieren Meldesystem für antisemitische Vorfälle. Der Handlungsdruck auf Schulen, antisemitische Vorfälle zu melden, ist bisher nur zögerlich in einigen Bundesländern in Gang gekommen, ausgebaute Strukturen auf der Ebene der unteren und oberen Schulaufsicht gibt es – mit Ausnahme von Berlin – im Prinzip nicht. Das Problem liegt dabei nicht nur bei antisemitischen Einstellungen von Schüler*innen, sondern auch von Lehrkräften Der Vergleich zweier prominenter Fälle antisemitischer Lehrkräfte in Oldenburg und Berlin zeigt, dass das Problem der schulischen Bekämpfung von Antisemitismus nicht nur auf der rechtlichen und strukturelle Ebene liegt, sondern auch auf der Frage, ob bei den Ländern eine Handlungsbereitschaft überhaupt existiert: die schulrechtlichen Rahmenbedingungen in Niedersachsen und Berlin sind ähnlich, möglicherweise wird man die disziplinarrechtlichen Möglichkeiten in Niedersachsen sogar als günstiger für die Bekämpfung von Antisemitismus bei Lehrkräften einschätzen müssen, das Verhalten ist aber diametral: während Berlin gegen den Fall einer antisemitischen Lehrkraft zeitnah und eindeutig vorgegangen ist, beschweigt Niedersachsen das Problem und belässt die antisemitische Lehrkraft weiterhin im Schuldienst. Wenn auf Seiten der staatlichen Akteure keine Bereitschaft besteht, die bestehenden Regelungen umzusetzen, dann ist das eine Kapitulation vor Antisemitismus.

Viele Kultusministerien sehen sich insofern nicht hinreichend in der Verantwortung und verschieben das Problem zudem auf außerschulische Bildung. Gern wird in schulischen Kontexten auf außerschulische Lernorte verwiesen – der Hinweis ist für sich genommen nicht falsch, fungiert aber faktisch oft als Verantwortungsabwehr. Die Schule ist und bleibt neben der Familie die zentrale Sozialisationsagentur der bundesdeutschen Gesellschaft und sie kann und darf sich nicht aus ihrer Schlüsselverantwortung für die Bekämpfung von Antisemitismus herausstehlen, in dem sie das Problem delegiert.

Das Schlüsselproblem sind aber nach wie vor die Schulbücher, die über weite Strecken defizitär sind. Die Verantwortung hierfür liegt vor allem bei den Ländern, die die Bücher nicht oder nicht hinreichend prüfen und bei den Schulbuchverlagen, die bei zentralen Fächern wie Geschichte und Politik viel zu selten Schulbücher erstellen, die den Wissensstand über Antisemitismus berücksichtigen. Antisemitismus gilt oft nur als thematisierenswert mit Blick auf den Nationalsozialismus und die Shoah – über die Vorgeschichte erfahren Schüler nur selten etwas, noch weniger über die Nachgeschichte: und damit die Frage, was und wie elementar Antisemitismus Teil ihres persönlichen Alltags und auch ihrer Familiengeschichte ist. Darüber hinaus ist das Israelbild extrem einseitig, zahlreiche Schulbücher argumentieren propalästinensisch und emotional überwältigend, d.h. statt Fakten werden antiisraelische Emotionen geschürt. Jüdische Religion und Kultur als selbstverständlicher Teil der deutschen und europäischen Geschichte fehlen komplementär fast vollkommen.

Der Dreh- und Angelpunkt des Problems bleiben insofern die Schulbücher, die oftmals hinter den – durchaus auch in vielen Fällen als zu rudimentär einzustufenden – Rahmenrichtlinien und Lehrpläne zurückbleiben, in gravierender Weise verkürzend und, im Falle des Themenfeldes Israel, drastisch einseitig propalästinensisch ausgerichtet sind. Auf der einen Seiten können und müssen die Länder, die keine Zulassungsverfahren für Schulbücher (mehr) haben, diese Praxis dringend überdenken, weil Schulleitungen und Fachkonferenzen faktisch nicht die Kompetenz haben, um über die Qualität von Schulbüchern im schulrechtlichen Kontext zu entscheiden. Zugleich sind aber gerade die Schulbuchverlage gefordert, in den einschlägigen Bereichen die Qualität ihrer Unterrichtsmaterialen zu überprüfen (oder fachkompetent) überprüfen zu lassen, weil das Hauptproblem darin besteht, dass viele Schulbuchautor*innen zu wenig Kompetenz und Wissen in den Bereichen Antisemitismus, Judentum und Israel haben. Grundlagenwissen in der Schule vermitteln immer Schulbücher. Da Antisemitismus eine Querschnittsaufgabe für alle Jahrgangsstufen, Schultypen und Fächer darstellt, wäre zu bedenken, ob beispielsweise von der Kultusministerkonferenz im Kontext ihrer gemeinsamen Arbeit mit dem Zentralrat der Juden ein spezielles Schulbuch „Antisemitismus“ initiiert werden sollte, das grundlegend über das Thema mit Materialien und Informationen aufklärt und insofern als Background zu anderen Schulbüchern genutzt werden könnte.

Zudem ist insgesamt ein mangelndes Problembewusstsein im pädagogischen Kontext zu attestieren, neben den Möglichkeiten auch die Grenzen von Pädagogik in der Schule zu reflektieren. Antisemitische Vorfälle sind manchmal, aber eben oft nicht allein durch pädagogische Maßnahmen zu lösen, es bedarf der flankierenden Verbindung von Prävention, Intervention und Repression. Zudem sind bedenkliche Tendenzen im pädagogischen Feld auszumachen, die Kompetenzorientierungen vor Faktenlernen stellen und aus einer falsch verstandenen Multiperspektivität Antisemitismus, etwa aus muslimischem Kontext, tolerieren. Jeder Antisemitismus im schulischen Kontext muss ohne Rücksicht auf den politischen, sozialen oder religiösen Kontext der ihn formulierenden Personen als falsch und unwahr zurückgewiesen werden, auch pädagogische Ansätze müssen reflektieren, dass man über viele Fragen unterschiedlicher Meinung ein kann, dass aber manche Meinungen – eben wenn sie antisemitisch sind – objektiv falsch sind, weil sie auf Unwahrheiten basieren.

Prof. Dr. Samuel Salzborn, Technische Universität Berlin