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21. März

"Alle Corona-Jahre wieder: Niemanden zurücklassen!" Videokonferenz der Weinheimer Initiative

Nach zwei Jahren Corona mit starken Einschränkungen bei Berufsorientierung und Praktika zeigt sich: Jugendliche, die zuvor schon benachteiligt waren, haben nun noch
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21.03.2022

"Alle Corona-Jahre wieder: Niemanden zurücklassen!" Videokonferenz der Weinheimer Initiative

Nach zwei Jahren Corona mit starken Einschränkungen bei Berufsorientierung und Praktika zeigt sich: Jugendliche, die zuvor schon benachteiligt waren, haben nun noch weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wie dieser Entwicklung lokal-kommunal entgegengewirkt werden kann, diskutierten Expert*innen aus Praxis und Wissenschaft am 21. März 2022 in der 17. Videokonferenz der Reihe "Corona-Krise und Ausbildung" der Weinheimer Initiative.
Nach zwei Jahren Pandemie fühlen sich viele Jugendliche allein gelassen, verunsichert und einsam, zeigen mittlerweile zahlreiche Studien (z. B. Andressen et al. 2020). Mitnichten aber haben alle gleichermaßen mit dem "Pandemiemanagement" zu kämpfen: Während es den meisten besser situierten Familien im Großen und Ganzen gut gelingt, werden andere - ärmere, alleinerziehende, migrantische - ausgebremst und ausgeblendet. Soziale Ungleichheiten wurden verstärkt und die gesellschaftliche Spaltung verschärft.

Eigentlich könnte hier eine gute Berufsorientierung einen wichtigen Beitrag dafür leisten, allen Jugendlichen auch zu Corona-Zeiten Perspektiven aufzuzeigen, die sowohl ihre subjektiven Wünsche und Stärken als auch die objektiven Anforderungen des Arbeitsmarktes berücksichtigen. Viele Jugendliche aber machten in der Krise die gegenteilige Erfahrung, nämlich, dass es in erster Linie darum ging, bestimmte schulische Formalitäten einzuhalten - etwa "irgendein" Praktikum zu machen, das eben unter Pandemiebedingungen gerade möglich war (Prof.*in Dr. Petra Lippegaus).

Schlüssel Digitalisierung?

Auch die digitalen Plattformen, die in der Krise vielfach aufgezogen wurden, erfüllen ihren Zweck oftmals nicht, so Prof.*in Dr. Petra Lippegaus (SRH Hochschule). Viele setzen allein auf Informationsvermittlung, während das Problem aber nicht ein Mangel an Informationen sei, sondern fehlendes Know-How, wie mit diesen umgegangen werden kann. Berufsorientierung müsse lebensweltorientiert sein, und digitale Ansätze immer unter einem sozialen Vorzeichen stehen.

Eine Initiative, die dies besser machen will, ist das Projekt "Dortmund at work" der Stadt Dortmund, bestehend aus einer Webseite, auf der die Schüler*innen gezielt nach Betrieben suchen und sich gleich online bewerben können, sowie Social Media Kanälen mit lebendigen Einblicken in Berufe und direkten Interaktionsmöglichkeiten. Ein Erfolgsschlüssel der Kampagne ist, dass sie nicht rein digital stattfindet, sondern in der Zusammenarbeit mit Schulen dort mit den Jugendlichen persönlich in Kontakt getreten wird, so Inga Rauschenberg (Stadt Dortmund).

Auch ein Imageproblem macht es insbesondere dem Handwerksbereich seit Jahren schwer, Jugendliche für die freien Ausbildungsplätze zu gewinnen. Die aktuelle Kampagne des Zentralverbands des Deutschen Handwerks "Handwerk liegt in der Natur des Menschen" will diesem Abwärtstrend entgegenwirken und, eingebettet in ein Gesamtkonzept, ein Umdenken und mehr Selbstbewusstsein im Handwerk erreichen.

Das Individuum im Blick

Für mehr aufsuchende Berufsberatung und individuelle, subjektorientierte Ansätze mit einer ergebnisoffenen Herangehensweise spricht sich Stefan Nowack vom "Nationalen Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung" aus. Die Hürden für Jugendliche, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, müssten so weit wie möglich abgebaut werden, das Misstrauen gegenüber Institutionen wie der Arbeitsagentur, die mit Sanktionen assoziiert werden, ist bei vielen groß.

Die Gefahr des Abgehängt-Werdens beginnt aber schon früher: Als Folge der Corona-Pandemie zeichnet sich auch eine Zunahme von schulvermeidendem Verhalten ab - vor allem unter vorbelasteten Schüler*innen, die schon zuvor von Mobbing, Leistungsschwierigkeiten oder -ängsten und anderen Problemen betroffen waren, so Dr. Martin Knollmann von der Beratungsstelle Schulvermeidendes Verhalten (BSV) des LVR-Klinikums Essen. Corona ist für diese Jugendliche der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, Schulvermeidung dann die "Notbremse", die sich leicht verfestigt und chronifiziert.

Die Erkenntnisse aus Praxis und Wissenschaft zeigen nach zwei Jahren Pandemie mit Lockdown und Digitalisierungs-Boom also vor allem Eines: Gerade in Krisenzeiten und entscheidenden Lebensphasen wie dem Übergang Schule-Beruf bleibt das (Zwischen-)Menschliche zentral, sowohl in der Vermittlung von Know-how als auch im genauen Hinsehen, was die einzelnen Jugendlichen wirklich brauchen.

Denn das Ziel, das verfolgt werden muss, ist ebenso wichtig wie alternativlos, sagt Prof*in Dr. Petra Lippegaus: die Jugendliche in die Lage zu versetzen, ihre eigene Biografie, die Arbeitswelt und die Gesellschaft aktiv zu gestalten.



Die Freudenberg Stiftung ist Mitinitiatorin und zusammen mit den Mitgliedskommunen Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative.